Adventszeit 2016 - Erzbistum Köln - page 23

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Foto: Mathias Bothor
Peter Prange
Schriftsteller
Foto: Gaby Gerster
Henriette Reker
Oberbürgermeisterin von Köln
Meine eindrücklichste Begegnung der letzten Jahre war eine Begegnung
mit meinen verstorbenen Eltern. Dabei lernte ich sie in einerWeise kennen,
wie ich sie zu Lebzeiten nie kennengelernt habe: als blutjunge Menschen,
die gerade erst zueinander finden. Nein, diese Begegnung fand auf keiner
spiritistischen Sitzung statt, ich verdanke sie vielmehr der Lektüre von
Liebesbriefen, die ich nach dem Tod meiner Mutter fand. Als ich darin las,
kam mir eine Idee in den Sinn, die mir ursprünglich gekommen war, als ich
zum ersten Mal in Euro bezahlte: Die Geschichte von einer Handvoll junger
Menschen, die bei der Währungsreform 1948 die berühmten 40 DM beka-
men, mit denen nach dem Krieg alles wieder losging, und deren Leben bis
zur Einführung des Euro zu erzählen. Damals hatte ich die Idee verworfen,
weil ich keinen Ort für die Geschichte hatte, und keine Figuren, die sie
verkörpern könnten. Jetzt hatte ich beides gefunden. So haben mir meine
Eltern, gleichsam aus dem Jenseits, mein persönlichstes Buch geschenkt:
„Unsere wunderbaren Jahre. Ein deutsches Märchen.“
Auf einer meiner vielen Zugfahrten zwischen München und Berlin ist mir eine Frau mit
einem Kind begegnet. Sie muss um die 60 gewesen sein, das Kind fünf. Sie erzählte
mir, dass sie den kleinen Jungen zur Pflege bei sich hat, bis eine Adoptionsfamilie für
ihn gefunden würde. Dieser Junge war besonders, denn er konnte aufgrund seiner
körperlichen und geistigen Behinderung weder laufen, noch sprechen, noch alleine
essen und saß im Rollstuhl. Als der Kleine mit einem Jahr schwer vernachlässigt zu ihr
kam, wog er gerade fünf Kilo und brauchte mehrere Operationen. Mittlerweile lebte
er seit vier Jahren bei ihr. Diese Begegnung hat mich tief bewegt und nie wieder los-
gelassen.Wie diese Frau diesem Kind das gab, was es am meisten brauchte: ein liebe-
volles und zuverlässiges Zuhause.Aus dem einfachen Grund, dass sie es nicht ertragen
konnte, dieses hilflose und bedürftige Kind alleine zu wissen – das werde ich nie ver-
gessen. Und es erinnert mich immer wieder daran, das, was ich haben darf, nicht als
Selbstverständlichkeit hinzunehmen, sondern zu teilen und zu helfen, so viel ich kann.
Nach mehr als 40 Jahren bin ich bei einem Festakt zum 100-jährigen
Bestehen meiner alten Schule, der Liebfrauenschule in Köln, wieder unse-
rer damaligen Schulleiterin Schwester Corda begegnet. Sie ist inzwischen
87 Jahre alt. Ich musste mich erst einmal an ihren neuen „Look“ gewöh-
nen: Statt des Schwesternhabits trug sie einen modernen Hosenanzug.
Schwester Corda war für mich immer eine absolute Respektsperson. Eine
enorm kluge Frau, aber auch streng und konsequent. Seit dieser Begeg-
nung begleitet mich Schwester Corda als meinVorbild durch die täglichen
Herausforderungen als Oberbürgermeisterin.Als ich vor einigenMonaten
gemeinsam mit unserem Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki eine
Aleppokiefer vor einem neuen Wohnheim für syrische Flüchtlinge
gepflanzt habe, war auch Schwester Corda plötzlich da. Sie hat mich in
denArm genommen, gedrückt und mir Mut zugesprochen. Seitdemweiß
ich: Sie achtet auf mich, ist immer ansprechbar, wenn ich ihren Rat brau-
che. Das gibt mir innere Kraft und Zuversicht.
Karoline Herfurth
Schauspielerin, Regisseurin
Foto: Stadt Köln/Danny Frede
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