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Schauspieler in Alltagskleidung sitzen in runden Scheinwerferkegeln und
fragen: Was ist, wenn die säkulare Welt ins Wanken gerät und die Gläu-
bigen Recht behalten? Das Ensemble stellt fest: „Es gibt Ärger, wenn
man über Religion spricht." Genau diese Provokation wagt das Schau-
spiel Köln. Reale Glaubenszeugen der Weltreligionen stehen mit pro-
fessionellen Schauspielern auf der Bühne: neben Ordensschwester
Johanna Domek Muslime aus der Keupstraße in Köln-Mülheim, der
muslimische Rapper und Pädagoge Yutlu Kurtseven, der Ex-Salafist
Dominik Schmitz und der liberale Jude Avraham Applestein. Sehr per-
sönlich enthüllen sie ihre Glaubensgeschichten.
Der steinige Weg zum Glauben
Ordensschwester Johanna im schwarzen Habit der Benediktinerinnen
macht den Anfang und erzählt zunächst Erstaunliches. Zum Beispiel,
wie sie als gottgläubiges Kind mit dem Luftgewehr ihres Vaters einen
Spatzen erschossen hat und aus Mitleid mit dem gekreuzigten Jesus
das Kruzifix an der Wand ihres Kinderzimmers mit ins Bett genommen
hat, um es zu wärmen. Gelassen spricht sie über ihre Teenager-Jahre
und ihre Gottesferne. „Wir haben Alkohol getrunken, bis der Kick kam.”
Einen Joint hat sie auch hin und wieder geraucht. Doch als Studentin
der Vergleichenden Religionswissenschaften entdeckte sie nach einer
langen Nacht der Entscheidung in einem kontemplativen Orden Gott
und entschied sich für den spirituellen Weg als Nonne.
Die freie Entscheidung für Allah war auch für die Muslimin Ayfer Sen-
türk Demir das Ende eines steinigen Weges: Als Elfjährige wurde sie von
ihren in Deutschland lebenden Eltern in eine strenge Koranschule nach
Istanbul geschickt, ohne Kontakt zu den Eltern. Sie reagierte rebellisch,
doch später hat sie sich in aller Freiheit für den Islam entschieden und
trägt aus Überzeugung ein Kopftuch.
Ungewöhnlich ist auch die Geschichte des liberalen jüdischen Psychothe-
rapeuten Avraham Applestein, der in Israel den Wehrdienst verweigerte,
ins Ausland gehen musste und als Kind von Holocaust-Überlebenden
ausgerechnet eine Deutsche heiratete. Er bekennt sich zum Schöpfergott
und glaubt an die menschliche Vernunft und das jüdische Ethos, „die
über der religiösen Praxis stehen“.
Hitzige Diskussionen über Extremisten
Ein Rekrutierungs-Video des sogenannten Islamischen Staates flimmert
über die Leinwand der Theaterbühne, in dem haarsträubende Bekennt-
nisse von extremistischen Salafisten wie Bernhard Falk gezeigt werden.
Schwester Johanna erinnert sich: „Ein heißes Thema bei den Proben war,
wie viel Extremismus darf Raum bekommen? Da waren wir uns gar nicht
einig." Regisseur Nuran David Calis wollte aber die extremen Religions-
vertreter nicht von der Bühne verbannen. Auch nicht fanatische Pegida-
Anhängerinnen, die sich von Gott Unterstützung für ihren „Krieg“
erbitten. „Das, was sie sagen, hat mit Jesus nichts zu tun", empört sich
Schwester Johanna. Doch warum müssen sich Christen nicht für aggres-
sive Pegida-Anhänger entschuldigen, aber jeder Muslim für den IS und
die Salafisten?, fragt Kutlu Yurtseven im Stück. Prominentes Ensemble-
Mitglied ist der Ex-Salafist und ehemalige Katholik Dominic Schmitz. Er
erzählt, warum er als junger Mann zum extremen Salafismus konvertiert
und begeisterter Anhänger von Sven Lau und Pierre Vogel geworden ist.
Seine Eltern hatten sich nicht um ihn gekümmert und auf seine Freunde
konnte er sich nicht verlassen. Bei den Salafisten fand er dagegen
Gemeinschaft und in ihrer Auslegung des Korans einen Glaubenshorizont,
der klar umreißt, was gut und was böse ist. Zu Schwester Johanna aber
sagte er später in einem persönlichen Gespräch: „Hätte ich Christen wie
Sie oder Pfarrer Meurer in dieser Zeit kennengelernt, hätte ich mich viel-
leicht anders entschieden.“
Philosophisch und kontrovers
Auf der Theaterbühne werden auch philosophische Fragen behandelt. So
bekennt Schauspieler Martin Reinke, dass er es mit der Pascal’schen
Wette hält, einfach einmal zu glauben, dass Gott alles fügt. Er sei bislang
gut damit gefahren. Die Frage steht im Raum, warum alle Religionen und
Kulturen an ein höheres Wesen glauben. Ist es bloß ein Zweckbündnis?
Mal stehen die Glaubenden nebeneinander, mal trennen sie sich hoch
emotionalisiert, weil sie anderer Meinung sind. Glaubensgrundsätze wie
Erbsünde, Schuld oder Feindesliebe legen grundlegende Unterschiede
zwischen Christentum und den anderen Weltreligionen offen. Es sind
Diskussionen, die frei improvisiert und bei jeder Aufführung anders
geführt werden. Am Ende des Stücks steht mit einer langen Schweigemi-
nute die Frage im Raum: „Was ist aus uns geworden?“
„Ich habe viel gelernt“
Ordensschwester Johanna hat aus ihren Bühnenauftritten im Schau-
spiel Köln für sich persönlich viel mitgenommen. Zum ersten Mal muss-
te sie radikal auf den Kern ihres Glaubens kommen, ohne die