AdventsZeit 2017
Von Martin Mölder Rund 3,8 Millionen Kinder bundesweit leben mit einem Elternteil zusammen, das sucht- oder psychisch krank ist. Die Probleme der Minderjährigen wurden lange nicht gesehen. Das ändert jetzt ein Projekt des Diözesan-Caritasverbandes für das Erzbistum Köln. E s begann bei Jenny (Name geändert) mit Problemen in der Schule. Die Leistungen der 12-Jährigen ließen nach und es gab Auseinandersetzungen mit einzelnen Leh- rern. Nichts Dramatisches, aber Grund genug für ihre Mutter Andrea Wehrmann (Name geändert), Hilfe bei einer Beratungsstelle zu suchen. Den Tipp hatte sie vom Familienzen- trum bekommen, das ihr fünf Jahre alter Sohn Jeron besucht. So kamen sie zu Jens Duisberg in die Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche in Leverkusen. Der Diplom-Sozialarbeiter und systemische Paar- und Familientherapeut merkte schnell, dass Jennys Schwierig- keiten in der Schule nur eines von vielen Problemen waren, die in der Familie Wehrmann existieren. „Ich hatte es mit einer sogenannten Mul- tiproblemfamilie zu tun“, erinnert sich Duisberg heute, „deshalb lud ich alle vier zu einem Gesprächstermin ein.“ Was er dann hörte, bestätigte seine Vermutung. Vater Thomas Wehrmann (Name geändert) wurde als Kind von seinem Vater misshandelt, landete selbst in der Drogenszene. Jetzt ist er clean. Seitdem leidet er aber an psychischen Störungen und sogenannten dissoziativen Anfällen. Die ähneln in ihrer Ausprägung zum Teil mit Krämpfen oder Bewusstlosigkeit epileptischen Anfällen, sind aber rein psychisch begründet. Jenny hat einige dieser Anfälle ihres Stiefvaters erlebt, als ihre Mutter Andrea berufsbedingt nicht zu Hause war. Dann hat sie den Notarzt geholt und sich um Vater und Bruder gekümmert. Da war sie neun! Die vergessenen Kinder Ungewollter Rollentausch „Parentifizierung“ nennen die Experten das Phänomen, dass Kinder die Rolle der Eltern übernehmen, weil die Eltern dazu aus psychischen Grün- den nicht mehr oder nur noch begrenzt in der Lage sind. „Wir versuchen, mit unseren Angeboten diese Rollenübernahme und die Übertragung der psychischen Probleme der Eltern auf die Kinder zu verhindern“, sagt Jens Duisberg. „Löwen-Kinder“ heißt das Beratungsangebot in Leverkusen, einer von insgesamt elf Beratungsstellen im Erzbistum Köln mit je einer halben Stelle, die das auf drei Jahre befristete Projekt „Chance for Kids – Hilfen für Kinder suchtkranker und psychisch kranker Eltern“ umsetzen. Barbara Förster vom Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln ist Projektreferentin und koordiniert „Chance for Kids“, das eine Stiftung noch bis August 2019 finanziell unterstützt. „Unsere Angebote heißen überall etwas anders: Phönix, Drachenflieger, Löwenherz, Löwen-Kinder. Die unterschiedlichen Namen sind Ausdruck der jeweils unterschiedlichen Ideen und Blickwinkel und der verschiedenen örtlichen Gegebenheiten“, sagt Förster. Am Ort entwickeln die einzelnen Beratungsstellen zahlreiche Kooperationen mit Kitas, Schulen, Jugendämtern sowie psychiatrischen Diensten oder Kliniken, um die Angebote für Betroffene besser zu vernet- zen und zu koordinieren. Letztlich gilt es, so Förster, das Thema zu ent- tabuisieren und zu entstigmatisieren. Solidarität durch Gespräche In Leverkusen treffen sich die „Löwen-Eltern“ über einen Zeitraum von sieben Wochen einmal wöchentlich. Im Mittelpunkt der Treffen steht der gegenseitige Austausch. Andrea Wehrmann ist gerne zu den Treffen gegangen. „Die Gespräche bei den Löwen-Eltern haben mir sehr viel gebracht. Da habe ich zum Beispiel gelernt, bewusst ,Stopp‘ zu sagen, wenn es mir zu viel wird.“ Dieses „Stopp“ gilt in mindestens gleichem Maße für die „Löwen-Kinder“, die in Kooperation mit dem Sozialpsychi- atrischen Zentrum und dem Sozialdienst katholischer Frauen in Leverku- sen betreut werden. Kinder lieben ihre Eltern, egal ob ein Elternteil oder auch beide Elternteile abhängig von einem Suchtmittel sind. Doch nicht selten leiden diese Kinder an Schuldgefühlen, sind einsam und überneh- men zu früh und zu viel Verantwortung. „Wir reden mit den Löwen-Kin- dern darüber, was sie gut können und was sie gerne machen. Wir versuchen, ihre Potenziale zu fördern und nicht Mängel zu thematisie- ren“, sagt Familientherapeut Jens Duisberg. Regelmäßige Treffen Jens Duisberg trifft sich mit seinen zehn Kollege n und Kolleginnen aus den anderen Erziehungs- und Suchtberatungsstellen regelmäßig in Köln beim Diözesan-Caritasverband mit Projektreferentin Barbara Förster zum Aus- tausch und zur Reflexion. „Diese Treffen sind wichtig, um die im Kontext von ,Chance for Kids‘ entwickelten Beratungsangebote stetig zu prüfen und zu verbessern“, sagt Förster. Dabei stellt sie immer wieder fest, dass es durchaus Möglichkeiten gibt, die Kinder zu entlasten und zu unterstützen, letztlich also zu verhindern, dass sie selbst süchtig werden oder psychisch krank. Genau diese Sorge beschäftigt Andrea Wehrmann besonders. „Ich habe großeAngst, dass Jenny eines Tages auch mit demMist anfängt, mein Bruder hat mit zwölf Jahren das erste Mal Haschisch geraucht.“ Woher die Mutter, die selbst einen alkohol- und spielsüchtigen Vater und einen drogenabhängigen Bruder hatte, die Kraft nimmt, um für ihre Kinder und ihren kranken Mann zu sorgen, nebenbei noch als Tagesmutter und am Wochenende in der Gastronomie zu arbeiten, um die Familienkasse aufzu- stocken, weiß sie selbst oft nicht. Gefragt nach einem Wunsch, sagt sie sofort: „Dass ich mal wirklich ankomme und Ruhe einkehrt bei uns.“ ❖ Informationen zum Projekt „Chance for kids“ bekommen Sie bei der Projektreferentin Barbara Förster: barbara.foerster@caritasnet.de. Immer ein offenes Ohr für alle Probleme: Paar- und Familien- therapeut Jens Duisberg arbeitet in der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche Leverkusen. www.adventsundsommerzeit.de 20 Die AkADemie. Orientierung. LebensArt. sinn. thomas-morus-Akademie bensberg Overather Straße 51-53 | 51429 Bergisch Gladbach Telefon +49 (0) 22 04/40 84 72 akademie@tma-bensberg.de | www.tma-bensberg.de 149 tAgungen 20. bis 21. Januar 2018 (Sa.-So.) glauben ohne Wahrheitsanspruch? Die Theologie und der philosophische Relativismus 79 erkunDungen 14. April 2018 (Sa.) Die große und die kleine maria Romanische Kirchen. Für Großeltern und ihre Enkel 65 FerienAkADemien 20. bis 25. August 2018 (Mo.-Sa.) Chartres – Ort der Weisheit Die gotische Kathedrale. Inspirierendes Erleben mit dem Komponisten Helge Burggrabe www.tma-bensberg.de akademie@tma-bensberg.de
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