AdventsZeit 2017
19 www.adventsundsommerzeit.de Von Jan Sting Hier gibt`s was auf die Ohren – und mehr D ie eierlegende Wollmilchsau ist eigentlich eine Karikatur. In der katholischen Kirchengemein- de St. Michael in Dormagen fällt der Begriff aber häufig in Bezug auf die Funktion des Kantors. Der soll am besten zwischen den Messen im fliegenden Wechsel Kinderstimmen formen, mit dem Kirchenchor arbeiten, das Streichorchester als Begleitung zum Ora- torium organisieren und vieles mehr. Aber einen solchen Kantor gibt es genauso wenig wie die so oft heraufbeschworene eierlegende Wollmilchsau. Für Kantor Horst Herbertz, Pfarrer Peter Stelten und den Pfarrgemeinderat stand daher vor fünf Jahren fest, dass sie die Weichen für ein funktionierendes musikalisches Kirchenleben anders stellen müssen: Die Gemeinde gründete das „Chorhaus Dormagen“. Darin finden alle Generationen ihren Platz – in der sakralen wie der weltlichen Musik. „Beim Pfarrfest sangen 30 Kinder und Jugendliche sowie 66 Erwachsene – das war einfach nur schön“, schwärmt Stelten. Er bekomme Gänsehaut, wenn junge Menschen das „Vater unser“ singend im Gottesdienst durch die Reihen gingen. Scannen Sie diese Seite und hören Sie das Motto- Lied des kommenden Konzerts des Chorhauses Dormagen „The Christmas Way“. Ohne Layar-App unter: www.adventsundsommerzeit.de/chormusik/ Nachwuchs? Kein Problem! Direkt neben der Kirche St. Michael im Herzen Dormagens hat das Chor- haus ein eigenes Büro, einen vollen Veranstaltungskalender und vor allem hat es etwas, das für Chöre absolut unzeitgemäß ist: Keine Nachwuchs- sorgen. Unter dem Dach des Chorhauses haben Kinder, Jugend und Erwachsene ihre eigenen Abteilungen, arbeiten zum Beispiel beimWeih- nachtskonzert „The Christmas Way“ (siehe Infokasten) zusammen und proben wiederum individuell. So treffen sich die Senioren im Ensemble „Klangherbst“ erst bei Kaffee und Kuchen, bevor es zur Nachmittagspro- be geht. Die Generation der Berufstätigen kann wählen: von klassischer Chormusik über Gospel bis hin zu Jazz, Rock und Musical. Und die Kinder und Jugendlichen schlagen nicht selten ihren Chorleitern selbst aktuelle Lieder aus den Charts vor, die sie gerne singen wollen. Im Gespräch mit dem Kölner Jazzprofessor Erik Sohn fanden sich Studenten der Chormu- sik, die für das ungewöhnliche Chorhaus-Projekt gleich Feuer und Flam- me waren. Für Kantor und Kirchenmusiker Horst Herbertz steht fest, dass nun beide Seiten profitieren. Er selbst hat Ende der 1980er-Jahre erfolg- reich den „Jungen Chor Da Capo“ an St. Katharina Hackenbroich aufge- baut. Mittlerweile ist der Junge Chor im Schnitt 30 Jahre älter geworden und es brauchte frischen musikalischen Wind. Für den Jugendbereich überließ Herbertz auch das Dirigat im Chorhaus gerne der nächsten Generation: „Es braucht die Augenhöhe. Und die jüngeren Kollegen haben ganz andere didaktische Möglichkeiten. Mit der klassischen Chor- arbeit hat das nur rudimentär zu tun.“ Gebärdensprache ersetzt den Taktstock Tatsächlich ist ein Probenbesuch im noch jungen Ensemble „Tonart“ ungewöhnlich. Es wird absichtlich „gewabert“, also aus einem Klang- brei eine lose Tonfolge geformt. Bewegung zur Musik ist gewollt und statt des Taktstocks gibt es 70 Zeichen des „vocal paintings“, die wie eine Gebärdensprache funktionieren. Ähnlich wie bei einer Bigband lässt sich damit auch gut improvisieren. Die Sängerinnen und Sänger treffen sich zur Projektarbeit am Wochenende. Einige studieren schon und hätten unter der Woche gar keine Zeit mehr, regelmäßig zu kom- men. „Ich studiere in Münster und war traurig, als ich im Jugendchor aufgehört habe. Jetzt kann ich wieder mitsingen und freue mich schon Wochen vorher, wenn ich die Termine einplane. Das ist ein Teil meiner Familie“, sagt Hannah Braun (21). Neben ihrem Studium hilft sie in der Verwaltung des Chors, organisiert Doodle-Abfragen zu den Probenter- minen oder reserviert Räume. Junge Leute ins Ehrenamt einzubinden ist Teil des Konzepts. Und sie von früh an bei der Musik zu halten, hat oberste Priorität: „Mit jungen Stimmen, die bereits im Kinderchor gesungen haben, lässt sich ganz hervorragend arbeiten“, weiß Jugend- chorleiter Felix Schirmer. Es lohne sich, bei den Jugendlichen am Ball zu bleiben, nachzufragen, auch wenn sie aus dem Chor austreten wollten. Das „Chorhaus Dormagen“ vereint die unterschied- lichsten Ensembles und Generationen von Sängerin- nen und Sängern unter einem katholischen Dach. Die Kinder und Jugendlichen werden von Studenten der Kölner Musikhochschule im Gesang unterrichtet – mit zum Teil ungewöhnlichen Methoden. Mehr als nur Melodien Das Repertoire spricht junge Menschen hörbar an. Zusammen mit Lisa Meier arbeitet Felix Schirmer mit den Tonart-Sängern in der Probe am Song „Never give up.“ Dabei werden nicht nur Noten gelesen, es gilt eine Geschichte zu erzählen, sich im Groove gedanklich nach Indien zu begeben. Der Körper ist Rhythmus, und die Geschichte, die im Song erzählt wird, wird herausgearbeitet und gesanglich ausgedrückt. David Mertin, der als erster vor fünf Jahren von der Musikhochschule kam, um mit dem Jugendchor zu arbeiten, sieht die Früchte der akribischen Probenarbeit aber nicht nur auf musikalischer Seite: „Hier ist eine offene und netteAtmosphäre. Das macht viel aus und motiviert uns alle jedes Mal neu.“ ❖ Am dritten Adventswochenende laden das Chorhaus St. Michael und der Bürger-Schützen-Verein zur Konzertreihe „The Christmas Way“ ein. An insgesamt drei Konzerten am 16. und 17. Dezember werden rund 100 Sängerinnen und Sänger von „Da Capo“ und dem „Jugendchor St. Michael“, unterstützt durch die Band des Chorhauses und das „Rheinische Oratorienorchester“, die Besucher musikalisch auf den Weg zur Weihnacht zwei Stunden begleiten. Termine: 16. Dezember, 16 Uhr und 19.30 Uhr, 17. Dezember, 16 Uhr Ort: Pfarrkirche St. Michael, Kölner Straße 38, 41539 Dormagen Es sind nur noch wenige Karten erhältlich. Verlosung: Die Redaktion der AdventsZeit verlost 5 mal 2 Karten für das Konzert am 16. Dezember, 19.30 Uhr. Schicken Sie eine E-Mail an: redaktion@kirchenzeitung-koeln.de oder schreiben Sie per Post an: Kirchenzeitung für das Erzbistum Köln, Ursulaplatz 1, 50668 Köln. 18 Nicht nur WhatsApp: Neue Lieder werden manchmal auch erst übers Smartphone angespielt, bevor sie dann dem Chor vorgeschlagen werden. Musik braucht Nähe. Chorleiter David Mertin und Lisa Meier proben gerne so, dass sie mittendrin sind im Gesang der Jugendlichen.
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