AdventsZeit 2017
17 www.adventsundsommerzeit.de Altenpflegerin Elena J. wurde ungewollt schwanger und entschied sich für eine vertrauliche Geburt. Die esperanza- Schwangerschaftsberatung der Caritas in Wuppertal begleitete die Frau auf ihremWeg. Verzweiflung und Angst „Die Frau war sehr aufgeregt und redete hastig“, erinnert sich Kornelia Fazel. Sie leitet die esperanza-Beratungsstelle in Wupper- tal. Ihren Namen sagte Elena J. nicht. „Sie klang verzweifelt und hatte furchtbare Angst, jemand könnte von ihrer Schwangerschaft erfahren.“ Für Frauen, die ihre Schwangerschaft verheimlichen wollen, galt die Babyklappe lange als letzter Ausweg. Sie ist jedoch rechtlich umstritten, denn nach dem Personenstandsge- setz ist jeder verpflichtet, eine Geburt dem Standesamt mitzutei- len. Die Befürworter der Babyklappe sagen, dass sie Leben rettet. Denn gäbe es sie nicht, würden wohl noch mehr Kinder ausge- setzt oder getötet. Die Gegner argumentieren, dass Kinder, die in eine Babyklappe gelegt werden, niemals etwas über ihre Herkunft erfahren würden – das könne traumatisierend sein. Im Telefonge- spräch berichtete Beraterin Fazel der werdenden Mutter von einer Alternative zur Babyklappe. Eine, bei der die Anonymität ebenfalls gewahrt bleibt, bei der die Frauen aber die Möglichkeit zur Vor- sorge haben: die vertrauliche Geburt (s. Infokasten). Das Beson- dere: Elena J. könne in einem Krankenhaus gebären und wissen, dass ihr Kind in guten Händen ist. Vertrauen ist wichtig Elena J. war skeptisch. Der Gedanke an Ärzte, Hebammen und Krankenschwestern, die von der Geburt erführen, machte ihr Angst. Auf keinen Fall durfte ihr Mann in Bulgarien von dem Kind wissen, er war schließlich nicht der Vater. Die beiden Frauen vereinbarten ein Treffen an neutralem Ort – in einemWuppertaler Café. „Es ging darum, Vertrauen aufzubauen“, sagt Fazel, „und die Frau davon zu überzeugen, dass sie sich auf uns verlassen kann, wenn sie sich für den Weg der vertraulichen Geburt entscheidet“. Die esperanza- Beratungsstelle inWuppertal arbeitet eng mit der Landesfrauenkli- nik, dem Jugendamt und dem Adoptionsdienst zusammen. Taucht eine Frau mit Wehen in der Landesfrauenklinik auf, die ihren Namen nicht sagen möchte, dann wird Kornelia Fazel verständigt, um zu vermitteln. Nach einem weiteren Treffen entschied sich Elena J. für eine vertrauliche Geburt. Da war sie in der 35. Schwangerschafts- woche. „Erst jetzt erfuhr ich ihren richtigen Namen“, so Fazel. Für den Kontakt mit Ärzten und Behörden wählte Elena J. ein Pseudo- nym, so sieht es das Gesetz vor. Nur Kornelia Fazel wusste, wer sich hinter diesem Pseudonym wirklich verbarg. Planung – aber geheim „Ich organisierte eine Hebamme, kümmerte mich darum, dass Frau J. die Vorsorgetermine einhielt und plante mit ihr die Tage rund um die Geburt“, berichtet Fazel. So lange wie möglich wollte Elena J. weiterarbeiten und die alte Dame pflegen. Weder sie noch die Familie der Betreuten sollten erfahren, dass die Pflegerin schon in Vertrauliche Geburt Im Mai 2014 trat das Gesetz zumAusbau der Hilfen für Schwange- re und zur Regelung der vertraulichen Geburt in Kraft. Im Unter- schied zur anonymen Geburt entbindet die Mutter bei einer vertraulichen Geburt unter Pseudonym. Nur der Beraterin einer Schwangerschaftsberatungsstelle offenbart sie ihre Identität. Die Beraterin ist verpflichtet, einen Herkunftsnachweis für das Kind anzufertigen, der versiegelt im Bundesamt für Familie und zivilge- sellschaftliche Aufgaben (BAFzA) aufbewahrt wird. Ist das Kind 16 Jahre alt, hat es das Recht, seine Herkunft zu erfahren. Bundesweit nahmen bislang 330 Frauen die Möglichkeit einer vertraulichen Geburt wahr. Die esperanza-Schwangerschaftsberatungen im Erz- bistum Köln begleiteten 13 Frauen auf diesem Weg. Hilfe finden Schwangere, die anonym bleiben wollen, unter: 0800 40 40 020 oder www.geburt-vertraulich.de „Ich wollte, dass Du lebst“ I rgendwann konnte Elena J. (Name geändert) einfach nicht mehr. Sieben Monate lang hatte sie niemandem erzählt, dass sie ein Kind erwartete, nicht einmal einem Arzt. Dass sie schwanger war, wusste sie längst: Der Test war positiv gewesen und da war dieses sichere Gefühl, das sie von ihren ersten vier Schwanger- schaften kannte. Sie trug weite Pullover und zu große Blusen, um ihren größer werdenden Bauch zu kaschieren. Die alte Dame, die sie pflegt, und für die sie aus Bulgarien nach Deutschland gekommen war, durfte nichts bemerken. Elena J. hatte nur diese Arbeit, sie brauchte das Geld. Aber dieses Kind würde sie nicht großziehen kön- nen. Nur wo sollte sie es zur Welt bringen? Bei der 92-jährigen Dame in Wuppertal? Sie hatte von der Babyklappe gehört. Aber konnte sie sicher sein, dass es ihrem Kind danach gut gehen würde? In der 30. Schwangerschaftswoche wählte Elena J. die Nummer von esperanza, der Schwan- gerschaftsberatung der Caritas. Elena J., die kleine und kräftige Frau mit den kurzen schwarzen Haa- ren, zitterte, als sie die Tasten ihres Handys drückte. Von Markus Harmann wenigen Tagen ein Kind zur Welt bringen würde. Unter dem Vor- wand, sich in der Heimat um ihre kranken Kinder kümmern zu müssen, bat Elena J. ihren Arbeitgeber – die Firma, die sie an die alte Dame vermittelt hatte – kurzfristig um Urlaub. Dass Elena J. nicht nach Bulgarien reiste, sich stattdessen in einer Wohnung der Caritas aufhielt und auf die Geburt wartete, wusste nur Kornelia Fazel. Jederzeit habe sie mit einem Anruf von Elena J. gerechnet. Wenn es so weit wäre, würde sie mitfahren ins Klinikum, wo man bereits vorbereitet war auf die Geburt der Mutter, die ihr Kind unter einem Decknamen zur Welt bringen und zur Adoption freigeben würde. Der Anruf kam an einem Freitag gegen 23 Uhr. Bei Elena J. begannen dieWehen. Ein Taxi brachte sie in dasWuppertaler Kran- kenhaus. Die Geburt verlief ohne Komplikationen. Brief für Zukunft 15 Minuten lang hielt Elena J. ihren Sohn im Arm, weinte, lachte, nahm Abschied von ihrem Kind. Die Adoptiveltern standen bereits fest. Elena J. hatte sie mitausgewählt – anhand eines Briefes, den das Paar ihr geschrieben hatte. Auch Elena J. schrieb einen langen Brief. Auf Bulgarisch. An ihr Kind. Später soll es ihn einmal lesen und erfahren, warum seine Mutter es abgegeben hat. Der Gedan- ke, dass ihr Sohn eines Tages vor ihr stehen könnte, macht ihr keine Angst. Im Gegenteil: „Ich glaube, ich würde mich sehr darüber freuen“, sagte sie zu Kornelia Fazel. „Mein Kind soll wissen, dass ich auf jeden Fall wollte, dass es lebt.“ Eine Woche nach der Geburt zog Elena J. zurück zu der alten Dame, die sie pflegt. Den wahren Grund für ihre Abwesenheit hat sie ihr nie erzählt. ❖ 16 Nur 15 Minuten mit meinem Baby
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